Do you know this fairy tale?


Really? Better check it once more:


Er schnaubte verärgert durch die Nase und spie vor sich auf den Boden. Noch einmal starrte er auf das Ziffernblatt seiner chinesischen Rolex. Keine Frage, 8 Uhr war schon lange vorbei und von der frechen Göre fehlte jede Spur. Was war passiert? Hatte sie den Weg nicht gefunden? Sich mal wieder im Wald verirrt? Frauen und Orientierungssinn, das passte einfach nicht zusammen …zudem, auf die heutige Jungend war auch kein Verlass mehr. Der ergraute Wolf schüttelte frustriert den Kopf. Wie hatte er sich vor zwei Stunden noch auf das Frischfleisch gefreut, es so sehr herbeigesehnt, als er – dem Skript der Gebrüder Grimm entsprechend – die poröse und abgemagerte Großmutter hinunterwürgte. Lecker war die alte Dame wahrlich nicht gewesen. Weder vom Aussehen noch vom Geschmack her. Aber, so hatte sich der Wolf beim Aufstoßen getröstet, das fesche Mädel würde ihn dafür entschädigen, ja entschädigen müssen! Ansonsten könnten ihn die Märchenonkels zukünftig mal gern haben.

„Der Wolf und die 3 kleinen Schweinchen“, „der Wolf und die 7 Geißlein“, „Rotkäppchen“, das waren alles Stücke, die seine Gesundheit stark in Mitleidenschaft zogen und ihm zusehends weniger Freude bereiteten. So hatte er den ganzen Tag in diesem muffigen altmodischen Nachthemd der Großmutter rumstolpern müssen und nun fiel das Abendessen auch noch aus? Das was Beschiss! Er hörte seinen Magen knurren und fühle das tiefe Loch in seinem Bauch. So konnte es nicht weitergehen. Morgen, das schwor er sich, würde er in einen unbefristeten Sitzstreik eintreten. Aber heute Abend brauchte er noch etwas zum Beißen.

Es half nichts. Er musste Rotkäppchen suchen. Schnellen Schrittes schlug er den Waldweg nach Käppchensrot ein. Die Dämmerung hatte eingesetzt und die Schatten wurden länger und länger. Alle paar Meter blieb der Wolf stehen und schnüffelte. Es roch nach frischem Fichtenlaub und Tannengrün, aber nicht nach ihr, dem süßen Ding. Das fahle Mondlicht wies ihm den Weg über die Lichtung. Aber auch hier gab es keine Anzeichen von der vollbusigen Schönheit. Immer wenn der Wolf an sie dachte, lief ihm das Wasser im Munde zusammen. Voller Gier fing er jetzt an, ihren Namen zu rufen: „Rotkäppi, Käppchen, Täubchen, wo bist Du?“ Dabei vergaß er voller Aufregung sämtliche Regieanweisungen. Wie oft hatte ihn der Tontechniker schon ermahnt, er solle mit einer sonoren, hohen Stimme sprechen, ganz wie die Großmutter es tat. Aber nein, er grölte los, wie es ihm gefiel. Und so kam es, dass der Jäger ihn hörte.

Mit dem geladenen Gewehr schlich sich der Jäger von hinten an den Wolf heran. Sein Daumen entsicherte das Schusseisen. Dann legte der Jäger auf den Wolf an. Doch was er durch sein Nachtsichtglas sah, raubte ihm seine ganze Konzentration: ein ausgewachsener, stämmiger Wolf mit einer gehäkelten Zipfelmütze und in ein zu kleines Rüschennachthemd gezwängt, humpelte in rosa Filzpantoffeln vor ihm her und lechzte nach seiner Liebsten.

„Wie rührend“, grinste der Jäger, „ob der wohl dessiert ist?“ Kurzum, er entschied sich, einen Test zu wagen. So schlich er ins Gebüsch, verstellte seine Stimme und hauchte sanft: „hier, hier mein Liebling, ich bin hier“. Dann wechselte er das Versteck und bald erklang von gegenüber „Liebling, hier“. Die Augen des Wolfs wurden größer, der Sabber floss ihm aus dem Mund und er sprang gleich auf den ersten Busch zu. Doch schon erklang die Stimme hinter ihn. Schnell drehte er sich um. Nun jedoch hallte es von links, dann von rechts…..der Wolf riss sein Maul auf und stürzte auf das Wesen neben ihm.

Peng!

Ein Schuss erschallte. Dann war Ruhe. Mausestille. Die Stille des Ungewissen dauerte lange an. Sehr lange. Sie sollte erst durch eine leise Melodie unterbrochen werden. Es war der Gesang eines jungen Mädchens: „bumm bumm bumm tschacka, tschacka, he“. Ok, so leise war der Gesang dann doch nicht. Rotkäppchen jolte den Text aus voller Brust, als sie auf ihrem Mofa durch den Wald sauste. Als arme Studentin war sie auf das Geld angewiesen, das ihr der Pizza-Service für die Tour zur Großmutter zahlte. Daher hatte sie sich noch zu später Stunde überreden lassen, die Quattro-Formaggio zu überbringen.

Diese Nacht sollte sie Glück haben, denn aufgrund des Schusses war sich der Wolf der Anwesenheit des Jägers bewusst geworden und fürchtete nun um sein Leben. Er zog es daher vor, bis zum Drehschluss lautlos im Gebüsch zu verweilen. Derweil verblutete der Jäger - zwei Meter entfernt von ihm. Er hatte sich in seinem eigenen Gewehr verhaspelt.

Und die Moral von der Geschicht: Frauen verirren sich seltener im Wald als Du glaubst.

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